VON LARS KOCH HAMBURGER ABENDBLATT,
09.06.10
Eltern melden 266 Kinder
beim Stader Schulzentrum Am Hohenwedel an
STADE. Jörg Moser-Kollenda blickt zu den wartenden Eltern und ihren
Kindern, die auf den Stühlen in der Aula des Schulzentrums Am Hohenwedel
warten. Lächelnd winkt der Pädagoge die nächsten beiden zu sich an den
Tisch. Mit solch einem großen Interesse hat kaum jemand gerechnet.
Zeitweise reichten die Stühle in der Aula des Schulzentrums am
Hohenwedel nicht aus für die vielen Menschen.
Insgesamt 266 Kinder wurden an den vergangenen beiden Tagen für die
erste Integrierte Gesamtschule (IGS) im Landkreis Stade angemeldet. "Auf
der einen Seite freuen wir uns riesig über den großen Zulauf, auf der
anderen Seite ist es bitter, dass so viele Kinder den Platz nicht
bekommen", sagt Moser-Kollenda. Schließlich gibt es lediglich 150
Plätze, die auf fünf Klassen verteilt werden, teilt der Leiter der
Planungsgruppe IGS mit.
An sechs Tischen werden die Eltern nacheinander beraten. Ihre
Anmeldungen werden entgegen genommen. Trotz des großen Andrangs hält
sich die Wartezeit für die Eltern in Grenzen. Bis zu einer Stunde müssen
sie warten. Das liegt vor allem daran, dass die Eltern im Vorfeld gut
informiert wurden und die meisten alle erforderlichen Unterlagen
vollständig dabei hatten.
Mit den unterschiedlichsten Erwartungen sind die Eltern an das
Schulzentrum Am Hohenwedel gekommen. Sie haben die
Informations-Veranstaltungen besucht, Broschüren studiert, Gespräche mit
Lehrern und anderen Eltern geführt. Besonders für Eltern von Kindern,
deren Leistungsstand zwischen dem einer Realschule und eines Gymnasiums
steht, ist die IGS interessant. Ein Grund, warum Sabine Radzuweit ihren
Sohn Finn angemeldet hat.
Kinder müssen an der IGS keine Angst mehr davor haben, sitzen zu
bleiben
Der Neunjährige sitze praktisch zwischen den Stühlen. Nach seinen
schulischen Leistungen befindet er sich vom Leistungsstand zwischen
beiden Schulformen. "Ich habe das Gefühl, die Kinder stehen nicht unter
so einem Leistungsdruck wie zum Beispiel am Gymnasium", sagt Radzuweit.
Ein großer Vorteil sei vor allem, dass die Angst vor dem Sitzenbleiben
genommen wird. Schließlich sollen Integrierte Gesamtschulen Schulen ohne
Sitzenbleiben sein. "Gerade für Kinder kurz vor der Pubertät ist das ein
ganz massiver Druck", sagt Radzuweit. Zudem finde sie es gut, dass an
einer IGS stärker darauf gesetzt werde, dass die Kinder sich gegenseitig
helfen und zusammenarbeiten. Zudem habe sich die IGS schließlich schon
an anderer Stelle erfolgreich bewährt.
Mütter hoffen auf eine Schule mit weniger Leistungsdruck
Dass die Kinder an der IGS weniger unter Druck gesetzt werden, war
auch für Heike Soukup aus Stade entscheidend. Sie möchte, dass ihr Sohn
Jarno wieder Spaß an der Schule hat und zum Lernen motiviert wird.
Besonders gefalle ihr das pädagogische Konzept der IGS. "Jeder wird
abgeholt, wo er sich befindet und nach seinen Stärken gefördert", sagt
Soukup.
Michaela und Thorsten Retzlaff sind gleich mit der ganzen Familie zur
Anmeldung gekommen. Sohn Jonas will ab Sommer die IGS besuchen. Seine
dreijährige Schwester Neela ist zur Unterstützung mitgekommen. Sie
findet den Trubel um sie herum spannend. Mutter Michaela erwartet sich
eine ganze Menge von der IGS. "Ich denke, dass Jonas an dieser Schule
besonders gut aufgehoben ist", sagt sie. Der Zehnjährige leidet an der
Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung ADHS. Die Eltern hoffen,
dass er an der IGS besser aufgenommen wird als bisher. "Der Unterricht
wird für jeden so zugeschnitten, wie er mitkommt"; sagt Thorsten
Retzlaff. Deshalb war für die Stader auch schnell klar, dass die IGS für
Jonas optimal wäre.
Es wird deutlich, dass die meisten Eltern genaue Vorstellungen haben,
was die IGS bieten kann. Trotzdem ist für viele diese Schulform ganz
neu, weshalb sie erst einmal abwarten wollen, was auf sie zukommt. So
geht es zum Beispiel Ute Jekat aus Stade. Trotzdem erhofft sie sich,
dass ihr Sohn Tim das eigenständige Lernen lernt. "Das kriegt man an
einer normalen Schule nicht", sagt Jekat. Anja Cordes habe zwar
ebenfalls noch keine Erfahrungen mit der neuen Schulform gemacht, aber
sie sieht das Ganztageskonzept positiv. "Ich bin selbst berufstätig, da
passt das ganz gut", sagt Cordes.
Einige Eltern sind mit einem besonders mulmigen Gefühl an die Stader
Schule gekommen. Sie kommen nicht aus der Hansestadt Stade, sondern aus
dem Landkreis. "Ich hoffe, dass wir überhaupt einen Platz bekommen",
sagt Andrea Bardenhagen. Sie ist gemeinsam mit ihrer Tochter
neunjährigen Jana zur Anmeldung gekommen, die sehr gerne zur IGS gehen
würde.
Für ihre Tochter wäre die IGS eine gute Alternative, sagt
Bardenhagen. Schließlich befinde sich Jana vom Leistungsstand her genau
zwischen zwei Schulformen. Bardenhagen hofft, dass die Neunjährige an
der IGS ihrem Niveau entsprechend gefördert wird. Bardenhagen ist vom
IGS-Konzept überzeugt. Vor allem, dass der Lerndruck nicht so groß sei,
gefalle ihr.
Doch Jana muss noch mehr zittern als viele der anderen Kinder. Sie
wohnt mit ihrer Familie in Hollern. Wegen der hohen Zahl der Anmeldungen
stehen die Chancen für Kinder, die nicht aus Stade kommen, schlecht. Da
die Hansestadt Stade zum Schulträger bestimmt wurde, müssen städtische
Kinder bevorzugt werden. "Es kann sein, dass keine Kinder aus anderen
Kommunen des Landkreises an der Gesamtschule Stade angemeldet werden
können", sagt Moser-Kollenda.
Welche Kinder tatsächlich zum neuen Schuljahr die IGS Stade besuchen
werden, entschied der Aufnahmeausschuss gestern am späten Abend. Am
Donnerstag bekommen die Eltern per Post bescheid. Wer eine
Benachrichtigung per E-Mail gewünscht hat, erfährt die Nachricht schon
vorher. Wegen der großen Nachfrage muss die Schule ein so genanntes
differenziertes Losverfahren durchführen. Ziel ist es, bei der
zukünftigen Schülerschaft einen repräsentativen Querschnitt abzubilden.
Dazu werden die Schüler in drei Leistungsgruppen eingeteilt.
In welche Gruppe die Kinder eingeteilt werden, entscheidet sich nach
ihren Noten im letzten Grundschulzeugnis in den Fächern Deutsch,
Mathematik und Sachunterricht. Die Größe der Lostöpfe entspricht dabei
prozentual der Größe der entsprechenden Leistungsgruppen in den vierten
Klassen der Stader Grundschulen. Für das Schuljahr 2010/2011 werden 35
Prozent der Kinder in die erste Leistungsgruppe eingeteilt, 40 Prozent
in die zweite und 25 Prozent in die dritte. |