Abenteuer Mensaessen für Eltern


Die Integrierte Gesamtschule Stade will auf Transparenz setzen und lädt zum ersten Mal die Erziehungsberechtigten zum Testessen ein

Von MIRIAM FEHLBUS

STADE. Stuhlbeine scharren. Menschen tuscheln und kichern. So sieht es aus, wenn sich Mitvierziger auf eine Zeitreise in ihre Kindheit begeben. Nur dass die meisten nie zuvor in einer Schulmensa gegessen haben. Ganztagsschulen mit Mittagstisch sind eine neuere Entwicklung in Bundesländern wie Niedersachsen. Damit wird das erste Probeessen für Eltern an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Stade doch zum Abenteuer.

Die Stader IGS-Mensa hat einen Stern. Nicht im klassischen Sinn für Gourmet-Variationen. Unter anderem für das Angebot vegetarischer Gerichte ist die Auszeichnung dieses Jahr von der Verbraucherzentrale verliehen worden. Beim abendlichen Probeessen haben erstaunlich oft Männer die fleischlosen Gerichte ergattert. Die Essenmarken wurden den Eltern am Eingang überreicht. Rosa steht für „Penne mit Brokkoli“. Gericht zwei gibt es für eine blaue Marke. Es ist Putengeschnetzeltes mit Reis. Beides kostet pro Kind 3,03 Euro.

Bevor es an die Töpfe geht, warten ein paar Informationen auf die Erziehungsberechtigten. Ralf Handelsmann als Leiter der Qualifizierungsküche des Berufsbildungswerks Cadenberg-Stade erläutert die Vorgehensweise des Caterers. Zum Nachlesen gibt es die zahlreichen Zertifikate und Hygienegrundsätze auch in Mappenform. Aber eigentlich wollen alle nur eins: endlich probieren.

Eine Schüssel ist für sechs Leute gefüllt. Fünf Tische für die fünf Klassen jeweils eines Jahrgangs gibt es. Gegessen wird an der IGS gemeinsam. Für die Schüler der fünften bis siebten Klassen ist die Teilnahme am Mittagstisch jeweils dienstags, mittwochs und donnerstags verbindlich. Am Montag gibt es wahlweise Essen. Am Freitag ist früher Schluss. Dann ist Wochenende, dann gilt wieder „futtern bei Muttern“. Wie sehr die Mensaspeisen vom Essen zu Hause abweichen, das wollen die 113 angemeldeten Eltern herausfinden, und auch ob für alle genug da ist. Jeder Jahrgang sei eine Herausforderung, sagt Handelsmann: „Neue Kinder, neue Essgewohnheiten.“ Es werde gewogen, was zurückgeht, um das Angebot anzupassen. Bis zu 15 Prozent Abweichung gibt es.

Bei den Eltern sind die Freiwilligen für den Küchendienst gefunden. Kaum springen alle zugleich auf, ermahnen ein paar der Schüler aus der Mensa-Arbeitsgemeinschaft (AG) die Erwachsenen, den Vorschriften zu folgen. „Der Außentisch fängt an“, heißt es. Das löst lautstarkes Maulen aus. Überhaupt sind die Eltern nicht gerade leise am Esstisch. Das ändert sich auch nur wenig, als die ersten Gabeln in die kleinen Teller mit Inhalt sausen. Als Schulleiter Jörg Moser-Kollenda die Hand hebt, um, wie an der IGS üblich, so um Ruhe zu bitten, dauert es ganze 20 Sekunden, bis ein Erfolg zu spüren ist.

 „Schmeckt ganz gut“, befindet David Etheridge. Der gebürtige Brite hat schon in seiner Schulzeit in England Mensakost zu sich genommen. Starkoch Jamie Oliver, der im Rahmen einer Regierungskampagne den britischen Schulkindern gesünderes Essen beibrachte, müsse in Stade nicht kommen, befindet Etheridge. Allerdings hätten ihn die Kartoffeln interessiert, sagt er. Dieses Gemüse habe von den Schülern nicht immer Bestnoten für Geschmack und Konsistenz bekommen.

Damit im Zweifelsfall alles überprüft werden kann, werden von jedem Gericht und jeder Speise Proben genommen, erklärt Handelsmann nach dem Essen. Die Proben gekochter Speisen würden 14 Tage eingefroren, die von Frischkost wie Salat müssten drei Tage eingelagert werden. Zum Beispiel bei der EHEC-Krise vor zwei Jahren war man dem Übeltäter so auf die Spur gekommen. „Wir hatten damals Glück und keine Sprossen auf dem Speiseplan“, sagt Handelsmann.

Am Ende gehen alle Eltern satt nach Hause. Ein bisschen weich und salzig seien die Nudeln gewesen, das Putenfleisch dafür gut, sagen die meisten. Der Nachtisch – eine Griesquarkspeise – hat viele überrascht. So ganz einfach war der Name dieses Gerichts nicht zu erraten. Eine Mutter fragt beim Herausgehen im Scherz: „Was gibt es denn morgen Abend?“ Die Organisatoren von Schulleitung und Mensa-AG lachen zufrieden. Sie hoffen, dass diese Aktion sie durch die geschaffene Transparenz näher an den zweiten Stern bringt.

 

Stader Tageblatt, 27.1.14