So läuft der Tag an der neuen IGS (Tageblatt v. 04.11.10)


Wie an der Integrierten Gesamtschule individuell gelernt wird - Im Logbuch setzen sich die Kinder eigene Ziele und bewerten sich

In der IGS spielt der Lehrer (hier Jörg Moser-Kollenda) of nur eine Nebenrolle. Die Schüler helfen sich gegenseitig und bestimmen ihr Lerntempo selbst. Foto: Helfferich
 

 

STADE. Vor drei Monaten wurden die ersten 148 Kinder an der Integrierten Gesamtschule Stade eingeschult. Am Freitag, 5. Oktober, ist offizielle Einweihung. Drei Monate sind vergangen, in denen nicht nur Schülerinnen und Schüler sich orientieren mussten. Auch die Lehrerinnen und Lehrer betraten Neuland. Hatten doch alle zuvor im viergliedrigen Schulsystem in einer Schulform gearbeitet - in Förderschule, Hauptschule, Realschule oder Gymnasium. Jetzt werden alle Kinder unterschiedlicher Neigung gemeinsam unterrichtet. Wie das funktioniert, hat sich TAGEBLATT-Redakteurin Susanne Helfferich angesehen.

Es ist kurz vor acht. In der Klasse 5c im ehemaligen OS-Turm des Schulzentrums Hohenwedel schnattern 26 Kinderstimmen aufgeregt durcheinander. Noch ist Oase-Zeit. Von 7.40 bis 8.10 Uhr können die Kinder in dieser offenen Anfangsphase zunächst einmal ankommen. Auch Jörg Moser-Kollenda kommt erst mal an. Er unterrichtet gleich Mathe in der Klasse. Noch fehlen zwei Kinder aus Bützfleth. Da gab es Schwierigkeiten mit dem Bus. Um 8.10 Uhr hebt Moser-Kollenda die offene Hand und nach und nach verstummen die Kinder, recken ihrerseits die Hand nach oben. Stille. "Holt eure Mathe-Sachen raus, tragt euch ins Logbuch ein. Einige Kinder wollen den Test nachschreiben. Dann los an die Arbeit", gibt der Schulleiter den Startschuss.

Lea und Chantal wollen den Test nachschreiben. Es ist ihre Entscheidung. Alexander und Silan zögern noch. "Fühlst du dich fit?", fragt Moser-Kollenda, "hast du das mit dem Runden verstanden?" "Ich mach lieber noch ein paar Aufgaben", schwenkt Silan um. Auch Alexander setzt sich noch mal an den Gruppentisch und holt sein Heft heraus.

Lara hat den Test schon bestanden. Vergangene Woche hat sie am Montag in ihr Logbuch als Wochenziel geschrieben: "Ich will den Mathe-Test bestehen." Und am Dienstag steht bereits unter der Rubrik "Ich habe gelernt,..." "...dass Mathe wirklich leicht ist". Für heute plant sie, "das Kreuzzahlrätsel zu beenden". Ein Förderkind dagegen übt mit Rechenplättchen den Zehnerübergang.

Sich selbst zu organisieren, eigene Ziele zu setzen und sie im Logbuch zu formulieren, hinterher die eigene Arbeit zu bewerten und zu entscheiden, was zu Hause noch zu üben ist - "damit hatten am Anfang viele Kinder Schwierigkeiten", erzählt Moser-Kollenda. Als Gymnasiallehrer war das Lernprinzip des Lernbüros, das in den Fächern Mathematik und Deutsch angewandt wird, auch für ihn neu. "Ich halte es für absolut richtig und es funktioniert."

Während die Kinder an ihren selbst gesteckten Zielen arbeiten, herrscht unwirkliche Stille im Klassenraum. Wenn geredet wird, um sich gegenseitig zu helfen, wird geflüstert. Nach einer halben Stunde geben Chantal und Lea ihren Test ab - und bestehen. Jörg Moser-Kollenda kann ihn sofort korrigieren, während die anderen Kinder arbeiten. Die beiden Mädchen stehen dabei und mit jedem Häkchen an den Aufgaben wächst ihr Lächeln. Noten gibt es nicht, aber einen roten Punkt im Logbuch fürs Bestehen. Und sie können mit der nächsten Checkliste fürs schriftliche Addieren und Subtrahieren beginnen.

28 Kinder mit 28 unterschiedlichen Lernfortschritten. "Damit wir den Überblick nicht verlieren, führen wir genau Buch, welches Kind wann einen Test geschrieben hat und wieviel Prozent es richtig hat. Wenn ein Schüler nicht besteht, räumen wir ihm zusätzliche Trainingszeit ein."

So wie Alexander. Er wagt sich in dieser Stunde doch noch an den Test. "Lies dir die Aufgaben richtig durch. Es sind nicht dieselben wie beim letzten Mal." Doch Alexander ist schon wieder weg. Nach einer halben Stunde gibt er siegessicher den Test ab. Er freut sich zu früh. Vieles hat er richtig, aber manche Aufgaben hat er aus der Erinnerung beantwortet und nicht richtig hingeschaut. "Im Prinzip hast du's verstanden, aber du musst doch die Aufgaben genau lesen", erklärt ihm Moser-Kollenda. Alexander bekommt zwar keinen roten Punkt, darf aber dennoch mit der nächsten Checkliste beginnen.

Es ist Frühstückszeit. Die Kinder räumen ihre Mathe-Sachen weg, um ihr Pausenbrot gemeinsam im Klassenraum zu essen. Doch zunächst müssen sie ihr Erreichtes ins Logbuch eintragen. "Ich habe gelernt, dreistellige Zahlen zu addieren und zu subtrahieren", steht bei Lara. Und Alexander schreibt: "Ich habe gelernt, dass man alle Aufgaben gründlich lesen muss."

04.11.2010